Welche Entwicklung durchlebt ein Mensch, bis sich seine Persönlichkeit komplett ausgebildet hat? Dieser Frage widmet sich das psychosoziale Stufenmodell nach Erikson. Erik H. Erikson war ein Psychoanalytiker, der gemeinsam mit seiner Ehefrau Joan Erikson die erste Fassung des Modells schon im Jahr 1950 publizierte. Damals wurde seine Ausarbeitung erstmals unter der Bezeichnung „Die acht Phasen des Menschen“ publiziert.
Inhaltsverzeichnis
Acht Phasen psychosozialer Entwicklung
Heute orientiert sich das Modell noch immer weitgehend an den acht Phasen psychosozialer Entwicklung. Die Idee hinter dieser Annahme ist, dass alle Menschen im Laufe ihres Lebens diese acht Phasen durchlaufen.
Das Stufenmodell sieht vor, dass die Menschen in jeder einzelnen Lebensphase mit besonderen Thematiken konfrontiert werden.
Faktoren wie die eigene Entwicklung sowie die sich verändernde Umwelt führen dazu, dass Menschen in den verschiedenen Lebensphasen immer wieder vor neuen Herausforderungen und Aufgaben stehen. All diese Phasen gipfeln nach Eriksons Aussage in einer Krise. An die Bewältigung dieser Krise schließt sich die nächste Phase an. Eine gesunde Persönlichkeit bildet sich nach Eriksons Aussagen nur dann heraus, wenn Menschen die einzelnen Krisen bzw. Phasen erfolgreich meistern.
Ein Modell auf Basis von Freuds Phasenmodell
Das Stufenmodell spielt in der heutigen Psychotherapie eine wichtige Rolle. Treten Probleme in der Persönlichkeitsentwicklung auf, ist die Unterteilung in die acht Phasen ein wichtiger Indikator dafür, welche Krisen die Betroffenen nicht erfolgreich bewältigt haben. Eriksons Stufenmodell kann ebenfalls als konsequente Erweiterung von Sigmund Freuds entwickeltem Phasenmodell infantiler Triebentwicklung betrachtet werden.
Während sich Freud jedoch ausschließlich auf das Kinder- und Jugendalter fokussierte, teilen und Erik und Joan Erikson das kompletten Leben der Personen in unterschiedliche Phasen ein.
Diese Phasen werden wie folgt dargestellt:
Phase 1: 1. Lebensjahr Urvertrauen versus Urmisstrauen
Das Vertrauen der Neugeborenen entwickelt sich, indem das Kind bemerkt, sich für Geborgenheit und Nahrungsaufnahme auf seine Eltern verlassen zu können. Andererseits entsteht Misstrauen, indem die Babys feststellen, dass die Eltern nicht rund um die Uhr für sie da sein können. Für eine gesunde Entwicklung ist es notwendig, dass die Kinder beide Phasen kennenlernen. Zur Meisterung der Krise ist es jedoch erforderlich, dass das Vertrauen überwiegt.
Phase 2: 2. bis 3. Lebensjahr Autonomie versus Scham & Zweifel
Indem die Kinder in dieser Phase das Gehen und Sprechen erlernen, reduziert sich automatisch die Abhängigkeit der Kinder von ihren Eltern. Automatisch wird das Kind mit der Frage konfrontiert, ob es in Ordnung ist, in diesem Lebensalter einen eigenen Willen zu entwickeln. Die Phase ist gut überstanden, wenn Autonomie dominiert.
Phase 3: 4. bis 5. Lebensjahr Schuldgefühl versus Initiative
In dieser Zeit widmen sich die Kinder unbewusst der Bewältigung des Ödipuskomplexes. Die Jungen und Mädchen registrieren, dass der Mutter auch andere Personen wichtig sind. Kinder entwickeln eine Moralvorstellung, die dementsprechend automatisch mit Schuldgefühlen einhergehen. Die Krise ist erfolgreich bewältigt, wenn die Handlungen der Kinder initiativ erfolgen. Zugleich sollte es den Kindern gelingen, mit Schuldgefühlen umzugehen.
Phase 4: 6. Lebensjahr bis zur Pubertät Minderwertigkeitsgefühl versus Leistung
Kinder sind neugierig und lernbereit. Zunehmend entwickelt sich ein Drang, aktiv am Leben Erwachsener teilzunehmen und dafür Anerkennung zu erhalten. Wird der Anspruch an diese Leistungen jedoch vom Kind selbst oder dem sozialen Umfeld ausgereizt, droht das Scheitern. Werden die Kinder im Gegenzug unterschätzt, stellt sich eine Art Minderwertigkeitsgefühl ein.
Phase 5: 13. bis 20. Lebensjahr Identität versus Identitätsdiffusion
„Ich bin, was ich bin.“ In dieser Phase stellen sich junge Erwachsene der Herausforderung, erlerntes Wissen über die eigene Persönlichkeit sowie die Umwelt zu einem Selbstbild zu formen. Menschen verspüren zunehmend den Wunsch, innerhalb der Gesellschaft eine soziale Rolle einzunehmen.
Phase 6: 21. bis 45. Lebensjahr Isolation versus Intimität & Solidarität
Diese Phase schließt die Aufgabe ein, ein bestimmtes Maß an Intimität zu erzielen und damit ebenfalls ernsthafte soziale Beziehungen zu pflegen. Diese Entwicklungsstufe schließt ebenfalls eine Einbindung von Freundschaften ein. Wer diese Krise meistert, ist auch in der Lage, Liebe und Intimität zuzulassen. Zugleich kennzeichnet diese Phase eine Art Lernprozess, bei dem Widersprüche und Unterschiede nur noch eine untergeordnete Rolle spielen.
Phase 7: 45. bis 65. Lebensjahr Selbstabkapselung & Stagnation versus Generativität
Generativität bezeichnet Erikson als den Wunsch, sich sorgsam für weitere Generationen einzusetzen. Dieses Ziel erreichen Menschen entweder über eigene Kinder. Alternativ verfolgen viele Menschen dieses Ziel, indem sie erlerntes Wissen an jüngere Generationen weitergeben oder sich sozial engagieren. Bei Stagnation tritt das Gegenteil ein. Die Menschen kümmern sich ausschließlich um sich selbst.
Phase 8: 65. Lebensjahr bis zum Tod Ich-Integrität versus Verzweiflung
In der letzten Phase muss sich der Mensch der Herausforderung stellen, sein Leben Revue passieren zu lassen. Die Menschen sind gezwungen, eigene Leistungen und die eigene Persönlichkeit zu akzeptieren. Zudem ist es wichtig, den Tod nicht zu fürchten. Wer diese Krise gut meistert, erlangt nach Eriksons Ansicht Weisheit.